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"Wir sind Fachleuchte fürs Bauen im Bestand"

Interview mit Thomas Bieber, zur Veröffentlichung auf competitionline.com

 

Thomas Bieber gründete vor 25 Jahren sein Büro für Innenarchitektur in Würzburg: Schwerpunkt des Büros ist das Bauen im Bestand, seit 15 Jahren mit regionalem Fokus. Er wohnt mit seiner Familie in einer ehemaligen Molkerei, die er vor dem Abriss bewahrte und nach und nach sanierte. Als Reaktion auf einen Artikel zum Thema Bauen im Bestand schrieb er uns in einem kurzen Statement seine Meinung. Wir wollten es genauer wissen.

 
Herr Bieber, Sie haben uns geschrieben, dass es weniger Abriss und Neubau und stattdessen mehr Umbau und Umnutzung gäbe, wenn man Innenarchitekt*innen mitentscheiden ließe. Wie meinen Sie das?

Hochbauarchitekten sind eher auf das Neubauen fixiert. Ihnen mangelt es oftmals, im Gegensatz zu den Innenarchitekten, schon im Studium an den entsprechenden Lehrinhalten zum Bauen im Bestand. Daher überzeugen sie oft die Bauherren davon, dass Abriss und Neubau einfacher und deshalb sinnvoller sei. Oft ist es auch einfacher – man kann etwa Schubladenentwürfe rausholen –, aber nicht immer sinnvoller. Innenarchitekten geht es um das Bewahren von Erhaltenswertem, deshalb haben wir diesen Beruf ergriffen. Im Bewahren liegt die echte Nachhaltigkeit. Das erfordert aber eine andere Auseinandersetzung mit Gebäuden, erfordert flexible und individuelle Lösungen. Genau das ist unser Spezialgebiet.

 

Die Aussage “Im Bewahren liegt die echte Nachhaltigkeit” würden alle Hochbauarchitekt*innen, mit denen wir sprechen, unterschreiben. Warum sollte ein Bestandsbau Innenarchitekt*innen mehr vor “Schubladenentwürfen” schützen als die Architekt*innen der städtebauliche Kontext?  

Auf ein Bestandsgebäude muss ich eingehen; das bedeutet ich muss seine Grundkonzeption und Eigenheiten erkennen und mit diesen umgehen. Da Häuser in den meisten Fällen „Prototypen“ sind und sich in vielen Details unterscheiden, muss ich bei einer Neukonzeption unter der Prämisse des sinnvollen Erhaltes von Bausubstanz immer wieder Lösungen finden und entwickeln um das Planungsziel möglichst genau und effizient zu erreichen. Da muss ggf. auch das Nutzungskonzept mal umgestrickt werden, so dass es es mit den geringstmöglichen Eingriffen in das Gebäude oder den Gebäudekomplex in den Bestand integriert werden kann. Bei einem Neubau schafft der Planer meist durch Abriss erst ein freies Baufeld in welchem er seine Konzeption entwickelt, seine Idee realisieren und hierbei ggf. auch auf bewährte Konzepte zurückgreifen kann.

 
Sie wünschen sich eine Stärkung der Rolle von Innenarchitekt*innen. Inwieweit ist Ihr Berufsstand denn benachteiligt?

Das ist je nach Bundesland unterschiedlich. In NRW haben Innenarchitekten z. B. die Chance die volle Vorlageberechtigung zu erhalten. In Hessen wiederum dürfen Innenarchitekten Neubauten in einem vorgegebenen Rahmen planen und eingeben. In Bayern ist die zugestandene „Befähigung“ schwammig formuliert, hier dürfen wir “mit der Berufsaufgabe verbundene Änderungen am Gebäude” in „angemessenem“ Umfang vornehmen. Was heißt das? Jede Gemeinde und jeder Sachbearbeiter interpretiert das individuell anders und im Zweifelsfalle wird die Vorlegeberechtigung einfach als nicht gegeben angesehen. Insgesamt wurden über die letzten Jahre in Bayern die Ausübung der Berufsaufgabe der Innenarchitekt*innen immer mehr eingeschränkt und beschnitten.

 
Können Sie das ausführen?

Es beginnt damit, dass Sachbearbeiterinnen von Bauämtern für uns alltägliche Aufgaben wie die Umnutzung von leeren Dachstühlen in Wohn- oder Nutzeinheiten mit dem Argument, dass dies zu kompliziert sei uns versagen wollen. Selbst für einfachste Anbauten wie Treppenhäuser, Wintergärten oder die Aufstellung von Containern wird uns die Befähigung abgesprochen!

Ein weiteres Beispiel: Wir hatten den Umbau einer Scheune in ein Wohnhaus geplant – eine klassische Aufgabe für uns Innenarchitekten. Da zeigt uns der Kreisbaumeister und sein Jurist ein Schreiben des bayerischen Innenministeriums/ der obersten Baubehörde an das Amt, dass wir Änderungen am Gebäude zwar planen und eingeben dürfen, aber nur „wenn es nicht zu kompliziert ist“. Schreiben und sagt, wir sollen nachweisen, dass das nicht zu kompliziert ist. Dabei sollte er dies als Amtsleiter eigentlich beurteilen können. Unser Statiker hat sich fast tot gelacht, als er das hörte. Er hat dann einen Zweizeiler geschrieben, der sinngemäß lautete: „Abgesehen davon, dass das Projekt einfachst ist, begleiten wir es als Bauingenieure auch, so dass das Projekt problemlos umgesetzt werden kann.“ Daraufhin durften wir das Bauvorhaben dann eingeben.

Ebenso wollte uns das Landratsamt die Befähigung absprechen, eine Nutzungsänderung für ein ehemals landwirtschaftlich genutztes Anwesen in eine Gaststätte einzugeben, weil das ein Sonderbau ist. Dabei haben wir nicht mal die Kubatur geändert und haben das bald historische äußere Erscheinungsbild wahren können. Statt mit uns zu sprechen, hat die zuständige Dame vom Amt unserem Bauherr per Bescheid mitgeteilt, dass sein Innenarchitekt für dieses Projekt gar nicht vorlageberechtigt sei!. Als ich die zuständige Sachbearbeiterin gefragt habe, wie sie zu dieser Einschätzung komme meinte sie, “na, ich hab gedacht … Sie sind ja Innenarchitekt, also sind Sie nur innen tätig.” Mit solch qualifizierten Aussagen und den daraus resultierenden Bescheiden müssen wir uns immer wieder herumschlagen! Sie können sich vorstellen, was da für ein Vertrauensbruch herbeigeführt werden kann, weil eine Sachbearbeiterin wie hier „denkt“. Nach dieser Logik müsste das Amt Hochbauarchitekten untersagen, Innenräume zu bauen und zu gestalten. Das wäre natürlich genauso absurd.

 
Wie unterscheiden sich denn die Ausbildungen voneinander?

Ich kann hier eigentlich nur über das Studium der Innenarchitektur ( Diplom/ FH) reden, da ich später lediglich nochmal zwei Semester Architektur besucht habe.In Düsseldorf in NRW z.B. ist das Studium für Architekten und Innenarchitekten aktuell deckungsgleich, bis auf die letzten zwei Semester, wie ich von Studierenden erfahren habe. Auch als ich vor 30 Jahren in Coburg studierte, wurden wir in den Grundlagenfächern wie darstellende Geometrie, Tragwerkslehre und wissenschaftliche Grundlagen und dergleichen im Grundstudium z.T. gemeinsam unterrichtet. Grundsätzlich wurde uns als angehende Innenarchitekten allerdings gelehrt von Innen nach Außen, also zunächst für den „nutzenden Menschen“ und erst dann „für den Bebauungsplan“ zu planen. Und natürlich durfte eine positive Gestaltungsidee nie fehlen.

Unsere Ausbildung, gelehrt oftmals auch von Hochbauarchitekten, hat von der Gründung bis zum Dach, vom städtebaulichen Kontext bis hin zum technischen Ausbau alles abgedeckt, allerdings ganz klar mit dem Schwerpunkt „Erhalten was erhaltenswert ist“, also dem Bauen im Bestand mit all seinen Herausforderungen aber auch Chancen. Deshalb ist es so absurd, dass Innenarchitekt*innen nur sehr eingeschränkt - und zudem bundeslandabhängig unterschiedlich (!) - bauvorlageberechtigt sein sollen.

Ich weiß noch genau, wie ich vor Beginn meines Studiums überlegt habe, ob ich Architektur, Innenarchitektur oder Design studieren soll. In der Studienberatung wurde mir gesagt: Hochbauarchitekten bauen neu – Innenarchitekten bauen im Bestand, bauen um, erweitern. Wenn wir so etwas dann nicht machen dürfen, muss man ehrlicherweise den gesamten Studiengang einstampfen. 

 
Würden Sie vom Studium der Innenarchitektur abraten?

Wenn man in Bayern leben und arbeiten möchte, ja. Hier darf man aktuell höchstens das, was jede Hausfrau macht: die Innenräume schön machen. Wie sich aktuell die Situation darstellt, muss ich eigentlich  allen vom Studium der Innenarchitektur abraten und sagen: Lieber als Hochbauarchitekt abschließen, und dann „im Geiste der Innenarchitektur“ verantwortlich mit der bereits gebauten Umwelt umgehen und diese mit der nötigen Sensibilität mutig entwickeln und gestalten..

 
Wie geht Ihr Büro mit den Einschränkungen um?

Ich versuche, Überzeugungsarbeit zu leisten. Mittlerweile gibt es auch Menschen in den Ämtern, die uns kennen. Für ein Schulreferat haben wir kürzlich die neue Entfluchtungsanlage geplant und gebaut, also u. a. zusätzliche ganze Treppentürme an die Schulen angebaut. Solche Aufträge bekommen wir, weil das Schulreferat unserer Stadt weiß, dass wir zuverlässig unsere Jobs erledigen.

Inzwischen versuche ich auch, es mit Humor zu nehmen: Zur Not unterschreibt mein angestellter Architekt oder die Absolventin, die für mich arbeitet, die Bauanträge. Ich will Absolventen nichts absprechen – aber dass jemand ohne Berufserfahrung mehr darf als ein Diplom-Ingenieur, der seit 25 Jahren ein eigenes Büro führt, ist Wahnsinn. Fast alle mir bekannten Innenarchitekt*innen haben den Eindruck, dass wir als Architekten zweiter Klasse behandelt werden.

 
Woher kommt die Geringschätzung gegenüber Innenarchitekt*innen?

Zum einen liegt es wohl an der Berufsbezeichnung, die einfach unglücklich ist. Das „Innen“ impliziert, dass wir uns nur mit dem Inneren beschäftigen. Aber eigentlich heißt es, dass wir von innen nach außen planen. Wir sind davon überzeugt, dass Räume für Menschen nur entstehen können, wenn das Innere eines Gebäudes funktioniert und dem Nutzer dient. Klar braucht es auch eine ansprechende und funktionierende Hülle – aber aufsehenerregende Fassadengestaltung ist in meinen Augen nicht das primäre Maß.

Innenarchitekt*innen werden häufig auch die “kleine Fachrichtung” genannt – und zwar, weil wir deutlich weniger sind. Aber manche verstehen unter “klein” offenbar „weniger Können“. Es wird Zeit, dass im Bewusstsein der Menschen ankommt, dass Innenarchitekt*innen mehr sind als „Kissenknicker“. In vielen Filmen und Büchern ist ja die Innenarchitektin die Frau eines erfolgreichen Arztes oder Rechtsanwaltes, die sich selbst verwirklicht, indem sie hier ein paar Bilder, da ein bisschen Farbe anbringt und alles hübsch macht ... Daraus entwickelte sich dann das entsprechende Klischee.

 
Alles nur Klischee? Wirklich?

Nein, es gibt auch handfeste berufspolitische Gründe. Bis Anfang der 2000er Jahre wollten Hochbauarchitekten meist immer wegreißen und neu bauen. Dann kam die erste große Krise im Hochbau. Plötzlich begannen sie, sich auch auf den Bestand zu besinnen und immer mehr in die bis dahin eher von den Innenarchitekt*innen bespielte Domäne zu wagen.

 
Wie ist Ihr Verhältnis zu den Hochbauarchitekt*innen?

Auf regionaler Ebene sehr kollegial, mit den allermeisten verbindet uns ehrliche gegenseitige  Wertschätzung. Oft fragen mich Hochbaukollegen nach meiner Ansicht, wenn es ums Bauen im Bestand geht. Aber in Ämtern und der Kammer wird die Nase von dem ein oder anderen Kollegen im Hochbau gefühlt schon oft etwas höher getragen, bis hin zur offenen Lobbyarbeit gegen uns Innenarchitekt*innen. Bei der Kammerwahl der BYAK im April sind wir deshalb mit einer eigenen Liste angetreten. Wir müssen jetzt einfach die Ärmel hochkrempeln, um wahrgenommen zu werden. Wenn wir jetzt nichts sagen, gehen wir unter.

 
Fünf Vertreter der Liste wurden gewählt. Wofür wollen Sie sich stark machen?

Für die Gleichberechtigung aller Fachrichtungen, und zwar auf allen Ebenen. Auf Ämtern werden beispielsweise oft Broschüren der Bayrischen Architektenkammer ausgelegt, da steht dann: “Wenn Sie ein Haus kaufen oder umbauen wollen, ziehen Sie Ihren Architekten zu rate.” Hinter dem „Architekt“ steht ein kleines Sternchen und in der dazugehörigen Fußnote liest man, „Architekt meint natürlich auch die Architektin“. Das Gendern ist ihnen wichtig, aber die Innenarchitekt*innen fallen hinten runter! Wir sind auch Fachleute, und zwar genau dafür: fürs Bauen im Bestand!

 
Was gehört für Sie noch zur Gleichberechtigung?

Wir wollen uneingeschränkt bauvorlageberechtigt sein. Ein Zimmermann, ein Maurermeister – die dürfen ein Einfamilienhaus eingeben, aber ein Innenarchitekt*in nicht! Das ist der Situation nach dem Krieg geschuldet: Da gab es wenig Gebäude, wenig Fachleute – aber es musste gebaut werden. Deshalb wurde Zimmerleuten und Maurern das freigestellt. Innenarchitekt*innen gibt es erst seit den 1960er Jahren, und da war die Baulobby schon viel zu stark.

Außerdem wollen wir unsere Anerkennung bei Vergabeverfahren fördern. Will man einen öffentlichen Auftrag, muss man Millionen-Projekte nachweisen. Für Innenarchitekt*innen ist das aber besonders schwer. Ein kleines Gebäude zu retten, ist viel aufwändiger, als einen Riesenkomplex nach Schema F hochzuziehen. Doch man scheitert am Nachweis der Bausumme – und daran hängt in Deutschland absurderweise der Nachweis der Qualifikation.

Drittens: Wenn es um Umbauten und Bauen im Bestand geht, sollte man Innenarchitekten beim Wettbewerb gleichberechtigt setzen und zulassen. Dann soll der Markt bzw. das Preisgericht  entscheiden, welcher Entwurf besser ist. Beim Wettbewerb für den Umbau des Würzburger  Ratskellers waren beispielsweise nur Hochbauarchitekten zugelassen. Das Problem ist, dass die Kammer die Gemeinden hinsichtlich der Ausschreibungen berät – und da gibt es eine klare Lobby zugunsten der Hochbauarchitekten.

Bei Projekten, für die hohe öffentliche Gelder aufgewandt werden, muss auch ein Innenarchitekt*in hinzugezogen werden. Landschaftsarchitekten haben es auch geschafft, sich zu positionieren. Sie müssen bei Wettbewerben oft zwingend mit einbezogen werden. Kitas, Bahnhöfe und dergleichen sind ja auch Räume, an denen sich Menschen aufhalten. Warum wird dann bei solchen Projekten nicht grundsätzlich auch ein Innenarchitekt als Sonderfachmann für „Räume jeglicher Art“ beteiligt?

 
Ja, warum denn nicht? Was meinen Sie?

Weil sich noch zuviele Hochbauarchitekten für „Alleskönner“ halten. Aber das ist absurd und anmaßend. Das wäre, als ob der Allgemeinmediziner sagt, „ich brauch doch keinen Kardiologen oder Chirurgen, ich kann alles“. Im Gesundheitswesen ist der Allgemeinmediziner der „einfache“ Arzt, während die Spezialisten – Chirurg, Zahnarzt et cetera – anerkanntes Fachwissen besitzen und dementsprechend Wertschätzung erhalten. Bei den Architekten ist es umgekehrt! Dabei gibt es den klassischen Baumeister längst nicht mehr. Alles ist komplexer geworden, deshalb zieht man Fachleute hinzu, für Statik, Brandschutz, et cetera. Und am allerbesten ist es, gemeinsam zur besten Lösung zu kommen! Durch mehr interdisziplinäres Arbeiten – auch zwischen Hochbau- und InnenArchitekten – würden die Projekte gewinnen. Deshalb wollen wir als ebenbürtig angesehen werden.

 

Text: Myrta Köhler 

https://www.competitionline.com/de/news/schwerpunkt/wir-sind-fachleute-fuers-bauen-im-bestand-3373.html